Senin Glazeroff
Tanz ins Vergessen
Auf der Suche nach Lebenszeichen des Artisten Senin Glazeroff
Von Günter Knobloch, AG Erinnerungskultur
Aufmerksam geworden durch die Aufzeichnungen des Eggersdorfer Ortschronisten Günter Bittner, haben meine Frau und ich vor über sechs Jahren angefangen, das Leben des jüdisch-russischen Artisten und Tänzers Senin (Salomon) Glatzer genannt Glazeroff zu ergründen und publik zu machen. Dieses Unterfangen stellte sich anfangs als sehr schwierig dar. Für uns naheliegend war die Nachfrage beim Internationalen Artistenmuseum in Klosterfelde, ebenso beim Bundesarchiv in Berlin, dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, im Dokumentationszentrum des Berliner Denkmals für die ermordeten Juden Europas und der Stiftung Jüdisches Museum Berlin. Alle zeitaufwändigen Anläufe blieben ohne Erfolg. Erst in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum - verwies man uns auf das Stadtmuseum Berlin mit seiner umfangreichen Sammlung dokumenta artistica. Damit begann eine monatelange Recherche in diesem Archiv. Es galt allein über 1200 Ausgaben des Artistischen Fachblattes ,Das Programm’, dem offiziellen Publikationsorgan der Internationalen Artisten-Loge, akribisch auf Hinweise zu Lebensdaten Glazeroffs bzw. zu den Auftritten seiner Gesangs- und Tanztruppe in ganz Europa durchzusehen.
Erfreulicherweise wiesen die Notizen von Günter Bittner aber auch den Weg zu Verwandten Senin Glazeroffs, den Gebrüdern Hecht, die unsere Nachforschungen durch wertvolle Dokumente und persönliche Erinnerungen tatkräftig unterstützten. Wir fanden heraus, dass Senin Glazeroff, geboren am 18. Januar 1882 in Woronesch (Südrussland) und seine 1876 in Lautenburg (Westpreußen) geborene Ehefrau Elsa in den bekanntesten europäischen Varietés außerordentlich erfolgreich aufgetreten waren. Im Jahre 1922 kauften sie in Eggersdorf ein Haus in der Landsberger Straße als ständigen Wohnsitz – die Villa Glazeroff -, das später von den Einwohnern scherzhaft Pariser Tanztheater genannt wurde. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht in Deutschland an sich rissen, erhielt der Jude Glazeroff Berufsverbot. Seine Villa verlassend, zog er in die Mühlen-, dann in die Leo-Schlageter-Straße 45 (die heutige Rosa-Luxemburg-Straße). Demütigungen und Verfolgung veranlassten Senin Glazeroff Anfang des Jahres 1939, „in der Nacht zu Fuß bei Aachen über die grüne Grenze“ ins Königreich Belgien zu flüchten. Zu diesem Zeitpunkt ahnte er wahrscheinlich noch nicht, dass die Nazis einen Weltkrieg beginnen und unter Verletzung der Neutralität der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs gen Frankreich marschieren würden. Nachdem die Deutsche Wehrmacht nach wenigen Tagen Brüssel besetzt hatte, war auch das Schicksal der in Belgien lebenden Juden besiegelt. Nach unserer Anfang dieses Jahres erfolgten Anfrage nach dem Verbleib Senin Glazeroffs beim Jüdischen Deportations- und Widerstandsmuseum in Mechelen und dem belgischen Justizministerium, Bereich Fremdenpolizei, wissen wir endlich, dass er nicht zu den über 25000 Juden in Belgien gehört hat, die in Richtung Osten deportiert und dort umgebracht worden sind. Senin Glazeroff ist am 28. Februar 1944 in Antwerpen verstorben. Wir betrachten unsere Nachforschungen als abgeschlossen, wenn im Auftrag der Gebrüder Hecht am 25. Oktober 2012 in der Eggersdorfer Rosa-Luxemburg-Straße 45 vom Aktionskünstler Gunter Demnig ein Stolperstein wider das Vergessen für den Artisten und Tänzer Senin Glazeroff verlegt werden wird.
Quelle: „Das Doppeldorf“, 10, 2012, S, 10
Literatur:
Günter Knobloch TANZ INS VERGESSEN. Das Leben des Artisten Senin Glazéroff, Ein Beitrag zur Erinnerungskultur
Herausgeber: Günter und Sigrid Knobloch, Petershagen
Januar 2010 und Dezember 2013
Layout: Günter Knobloch
Herstellung: Stefan Knobloch / Oliver Türpe
Copyright: Alle Rechte vorbehalten